Remote Evaluation nach der Pandemie – was bleibt, und wo gehen wir zurück zu Präsenz-Lösungen?

Im Juni 2021 hat mich der Evaluations-Stammtisch Rheinland eingeladen, einen kleinen Impulsvortrag zu einem selbst gewählten Thema zu halten. Dieser Blogbeitrag ist eine Verschriftlichung meines Inputs. Ich danke den Stammtisch-Kolleg*innen für die Einladung und die angenehme Diskussion!

 

Evelyn Funk PME-Campus

Die Corona-Pandemie hat uns seit März 2020 fest im Griff. Kaum ein Lebensbereich, auf den sie keine Auswirkungen hätte.

Planung, Monitoring und Evaluation haben durch die Pandemie ihren Charakter verändert. Von heute auf morgen mussten wir alles umstellen: Gewohnte Abläufe, Formate, Systeme.

Die wesentliche Einschränkung ist natürlich das Reisen: Zeitweise war es überhaupt nicht mehr möglich, zeitweise nur in sehr beschränktem Rahmen. So konnten viele Schritte in Planungs-, Monitoring- und Evaluationsabläufen entweder gar nicht mehr stattfinden – oder sie wurden in den virtuellen Raum verlagert.

Die Herausforderungen und die negativen Auswirkungen dieser Einschränkungen sind so oft Thema. Ich jammere selbst so oft, aber was hilft’s? In diesem Blogbeitrag wähle ich darum eine andere Perspektive. Mich interessiert:

Welche Chancen ergeben sich für die Evaluation, und teilweise auch für Planungs- und Monitoringprozesse, durch die Pandemie und die damit einhergehende Verlagerung unserer Arbeit ins Virtuelle? Was haben wir gelernt, das unsere Praxis auch in Zukunft bereichern kann?

1. Evaluation wird inklusiver.

Wer sich nicht explizit mit dem Thema Inklusion beschäftigt, nimmt es vielleicht gar nicht wahr, darum möchte ich diesen sehr wichtigen Punkt hier hervorheben: Durch die Verlagerung ins Virtuelle kann auf der Seite der Evaluator*innen (und Berater*innen im Allgemeinen) plötzlich eine deutlich größere Gruppe von Menschen in diesem Bereich tätig sein. Das betrifft Kolleg*innen mit Care-Aufgaben, die zwar nicht für mehrere Tage verreisen könnten, um etwa einen Workshop abzuhalten oder Daten zu sammeln, die aber durchaus stunden- bzw. tageweise vom Home Office aus arbeiten können. Auch Menschen, die aufgrund von Behinderungen nur schwer oder gar nicht reisen können, haben durch die Umstellungen von PME-Routinen ins Virtuelle nun deutlich bessere Chancen.

2. Evaluation wirkt sich weniger schädlich auf das Klima aus.

Ja, auch virtuelle Arbeit hat ihren Preis, was die Co2-Bilanz angeht. Aber: Wir fahren damit deutlich besser, als wenn wir rund um die Welt reisen, oder auch nur quer durch Deutschland.

3. Evaluation in der Entwicklungszusammenarbeit wird fairer.

Durch die Corona-Pandemie waren wir ständig gezwungen, Gewohntes abzuschreiben und ganz neue Routinen zu entwickeln. In der Entwicklungszusammenarbeit hat die Pandemie dazu geführt, dass die Rolle von deutschen/europäischen Consultants vielfach von Consultants in den Partnerländern übernommen werden musste. Und wir haben gesehen: Die Kolleginnen und Kollegen können das auch ganz gut! Sicherlich unterscheiden sich die jeweils vorhandenen Kapazitäten stark zwischen den verschiedenen Ländern und Regionen – aber ist es nicht auch wertvoll, wenn wir die Pandemie zum Anlass nehmen und mehr in Capacity Development von Partnern investieren?

4. Evaluation kann zeiteffizienter gestaltet werden.

Vor allem für die Datenerhebung hat die virtuelle Durchführung einen wesentlichen Effizienz-Vorteil. Wir sind nicht mehr auf ein Zeitfenster festgelegt, das vor allem durch das vorhandene Budget für Gutachter*innen-Tage bestimmt wird (und das dadurch oftmals knapp ausfällt). Vielmehr können wir uns in der Datenerhebung über einen längeren Zeitraum hinweg flexibler nach den Verfügbarkeiten der Datenquellen richten, die uns interessieren.

5. Angebote zur Professionalisierung sind besser zugänglich.

Durch die Umstellung auf Remote-Formate sind neue Möglichkeiten für die Professionalisierung von Evaluation entstanden. Ganz offensichtlich ist zunächst, dass die Teilnahme an virtuellen Konferenzen sehr viel weniger Kosten verursacht und deutlich weniger Organisation verlangt als die Teilnahme an Präsenz-Veranstaltungen. Selbstverständlich ist der Charakter von virtuellen Tagungen nicht mit dem von Präsenz-Veranstaltungen zu vergleichen, aber: Gerade wenn ich z.B. aufgrund einer längeren Anreise eine bestimmte Veranstaltung sonst gar nicht hätte besuchen können, freue ich mich nun sehr über die Möglichkeit, virtuell daran teilzunehmen. Ein wesentlicher Aspekt von Professionalisierung ist für mich auch das Netzwerken, das meiner Meinung nach durch die Pandemie sehr viel unkomplizierter geworden ist. So erlauben es uns heute sowohl die Technik als auch die neuen Konventionen zum virtuellen Austausch, neue Kontakte zu knüpfen und auch ohne konkreten Anlass einfach mal mit unbekannten Kolleg*innen einen virtuellen Kaffee zu trinken. Und schließlich, das ist wohl der wichtigste Punkt beim Thema Professionalisierung: Die Teilnahme an virtuellen Fortbildungen ermöglicht es uns, unser Wissen und unsere Fähigkeiten rund um das Thema Evaluation auszubauen, ohne dass wir dafür weit reisen müssen. Ich glaube sogar, dass virtuelle Fortbildungen ein paar Vorteile gegenüber Präsenz-Veranstaltungen haben. Zum Beispiel müssen wir nicht alle Inhalte in einen bestimmten engen Zeitraum quetschen, der uns zur Verfügung steht. Vielmehr können wir das, was sonst vielleicht an einem vollgepackten Wochenende vermittelt worden wäre, einfach über ein paar Wochen strecken. So ermöglichen wir, dass neues Wissen auch gleich eingeübt werden und sich setzen kann.

Für mich werden ein paar der Neuerungen, die aus der Not entstanden sind, auch nach der Pandemie bleiben. Als Mutter von zwei kleinen Kindern werde ich weiterhin so wenig wie möglich reisen und habe trotzdem die Chance, durch die Verlegung von Meetings in den virtuellen Raum und durch die Etablierung von Remote Evaluationen weiter in diesem Bereich zu arbeiten.

Was offen bleibt

Ich möchte meinen Beitrag zu diesem Thema mit einer schwierigen Frage beenden, die unbedingt mitgedacht werden muss: Welchen Preis zahlen wir eigentlich für die Vorteile, die uns möglicherweise auch durch das virtuelle Arbeiten entstehen? Wann steht dieser Preis in einem guten Verhältnis zum Nutzen? Was bedeuten die neuen Formate, Systeme, Abläufe für die Qualität von Evaluation, für unsere Lebensqualität? Denn davor können wir die Augen nicht verschließen: Stakeholder werden aufgrund von mangelndem Zugang zu Technik von PME-Prozessen ausgegrenzt. Es fehlen Zwischentöne und zufällige Begegnungen, es fehlt das "Eintauchen" bei einer Datenerhebung vor Ort.

Die Frage, inwieweit wir uns das leisten können und wollen, wird uns noch lange beschäftigen.

 

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