Vielleicht kennst du solche Situationen. Du unterhältst dich mit deinem Nachbarn oder mit deiner Großtante über deine Arbeit, und dabei fällt der Begriff “Evaluation”.
Der Nachbar arbeitet bei einem Finanzdienstleister im Controlling – “ist das nicht was ganz ähnliches?”
Die Großtante erinnert sich an ihre Studienzeit, und dass sie bei manchen Veranstaltungen ganz am Ende einen “Evaluationsbogen” ausfüllen musste. Das ist also auch Evaluation – oder nicht?
Und vielleicht fragen am Ende auch noch die Kinder, was es mit Evaluation eigentlich auf sich hat…
Wie diese Situationen zeigen, ist der Begriff “Evaluation” sehr vielschichtig und wird in verschiedenen Kontexten unterschiedlich verwendet. In diesem Kursabschnitt definieren wir Evaluation als Anwendungsfall empirischer Sozialforschung und legen fest, welche Merkmale Evaluation dementsprechend hat – und was nicht dazu gehört.
Aus den unzähligen Definitionen von Evaluation möchte ich dir in diesem Kursabschnitt zwei vorstellen, die oft zitiert werden und die die wesentlichen Merkmale von Evaluation in unserem Verständnis umfassen.
Evaluation is…
…a social science activity directed at collecting, analyzing, interpreting, and communicating information about the workings and effectiveness of social programs.
Diese Definition enthält ein paar wichtige Elemente – hier meine Gedanken dazu:
Michael Scriven greift in seiner Definition ein paar andere Aspekte auf, die wichtig sind für ein umfassendes Verständnis von Evaluation. Er definiert:
Auch hier möchte ich gerne die wichtigsten Elemente hervorheben:
Was genau können wir alles evaluieren? Rossi/Lipsey/Freeman nennen “social programmes”; Michael Scriven nennt ganz allgemein “things” als möglichen Gegenstand einer Evaluation. Tatsächlich gibt es eine enorme Bandbreite. Ich nenne hier einige typische Evaluationsgegenstände.
Achtung – Begriffe wie “Projekt” und “Programm” sind nicht einheitlich definiert. Viele Organisationen haben ihre eigene Terminologie, die nicht unbedingt dieser Darstellung entsprechen muss. Wichtig ist aus Evaluationsperspektive, dass die Merkmale des jeweiligen Evaluationsgegenstands bekannt sind, um einen geeigneten Ansatz, geeignete Methoden usw. wählen zu können.
Bei der Evaluation eines Projekts steht ein klar definiertes Projekt im Fokus. Projekte haben in der Regel…
Projekte können sehr unterschiedlich groß sein. Manche Organisationen gestalten ihre Projekte grundsätzlich so, dass sie eine gewisse Größe haben; andere (v.a. im zivilgesellschaftlichen Bereich) haben viele sehr kleine Projekte mit unterschiedlichen Partnern.
Allgemein kann gesagt werden, dass Projekte in der Regel die kleinstmögliche Evaluierungseinheit darstellen und – verglichen mit anderen Evaluationsgegenständen – meist weniger komplex sind.
Es gibt keine allgemeingültige Definition des Begriffs “Programm”. Eine Möglichkeit, Programme zu definieren, ist diese:
Programme sind nach dieser Definition also unterm Strich größer und komplexer als Projekte. Je nach Evaluationszeitpunkt, Datenlage etc. sind Vorher-Nachher-Vergleiche in Programmen oft schwieriger als in Projekten. Auch die Analyse von Wirkungen ist bei Programmen aufgrund ihrer Komplexität eine große Herausforderung.
Die Analyse von Organisationen kann dabei helfen, ein tiefes Verständnis für die Stärken, Schwächen, Chancen und Herausforderungen einer Organisation zu gewinnen. Darum können auch Organisationen selbst, ebenso wie Projekte und Programme, Gegenstand von Evaluation sein.
Organisationsevaluationen können sich auf Themen wie Struktur, Arbeitsweise, Führung, Kultur, Ressourcenallokation und Zielerreichung konzentrieren. Die Ergebnisse können Verbesserungspotenziale aufdecken und eine Grundlage für strategische Anpassungen sein, wodurch letztlich die die Effizienz und Effektivität der Organisation gesteigert werden kann.
In einer Metaevaluation ist der Evaluationsgegenstand, wieder Name schon vermuten lässt, eine Evaluation! Meist werden mehrere Evaluationen in den Blick genommen und auch miteinander verglichen. Wir schauen uns dabei konkret die Qualität von Evaluierungsberichten an. Oft betrachten wir in einer Metaevaluation neben den Evaluierungsberichten auch Evaluierungsprozesse und Strukturen.
Vor allem größere Organisationen nutzen Evaluation gerne, um Querschnittsthemen systematisch zu untersuchen. Das können so unterschiedliche Themen wie beispielsweise Menschenrechte oder Gender sein. Oft wird in Querschnittsevaluationen auch ein bestimmter Projektansatz/ein Instrument in verschiedenen Kontexten/Ländern analysiert. Oder die Querschnittsevaluation nimmt einen bestimmten Sektor in den Blick, z.B. alle Projekte einer Organisation im Bereich der Berufsbildung.
Konkret werden bei Querschnittsevaluationen mehrere Evaluationen als Datengrundlage herangezogen, auf der eine übergeordnete Frage beantwortet werden soll (z.B. “Die Erfolgsfaktoren entwicklungspolitischer Bildungsarbeit beruhend auf der Analyse von 15 Einzel-Evaluationen”).
Querschnittsevaluationen sind in der Regel Schreibtischstudien (desk studies).
Der Begriff der Evaluation kann auf verschiedene Art und Weise weiter differenziert werden. Drei wichtige Möglichkeiten sind die Unterschiedung danach, MIT WELCHEM ZIEL eine Evaluation stattfindet, WANN sie stattfindet, und mit welcher PERSPEKTIVE sie stattfindet.
Diese Differenzierungen können auch auf die oben genannten Evaluationsgegenstände angewendet werden, wobei aber nicht alle Kombinationen sinnvoll oder möglich sind.
Je nach Evaluationsziel kann eine Evaluation formativ oder summativ sein. In der Praxis weisen viele Evaluationen auch Elemente von beiden Formen auf. Es kann aber sehr hilfreich sein, den Schwerpunkt einer Evaluation zu identifizieren, um eine Überfrachtung zu vermeiden.
Je nach Evaluationszeitpunkt unterscheidet man zwischen ex-ante, mid-term, finalen und ex-post Evaluierungen. Die genauen Begrifflichkeiten können in verschiedenen Organisationskontexten variieren, aber die dahinter stehenden Konzepte bleiben die gleichen.
Es gibt Überschneidungen zwischen dem Begriffspaar “summativ/formativ” und den hier genannten Begriffen. Während ex-ante und mid-term Evaluationen immer formativ sind, können finale und ex-post Evaluationen jeweils beides sein. Beispielsweise kann eine finale Evaluation schwerpunktmäßig der Rechenschaftslegung gegenüber dem Geldgeber dienen – dann haben wir es mit einer summativen Evaluation zu tun. Wenn die finale Evaluation demgegenüber die Grundlage für einen Folgeantrag sein soll, sprechen wir eher von einer formativen Evaluation.
Evaluationen können intern und extern durchgeführt werden.
Falls du mehr über Selbstevaluationen lernen möchtest, ist die Seite https://www.selbstevaluation.de/ ein guter Startpunkt.
Für diesen Kursabschnitt habe ich verwendet…
Kromrey, Helmut (2007): Wissenschaftstheoretische Anforderungen an empirische Forschung und die Problematik ihrer Beachtung in der Evaluation. – Oder: Wie sich die Evaluationsforschung um das Evaluieren drückt. In: ZfEv Zeitschrift für Evaluation 6 (1), S. 113-123.
Rossi, Peter H.; Lipsey, Mark W.; Freeman, Howard E. (2007): Evaluation. A systematic approach. 7. ed., [Nachdr.]. Thousand Oaks, Calif. [u.a.]: Sage Publ.
Scriven, Michael (1991): Evaluation thesaurus. 4. ed. Thousand Oaks, Calif. [u.a.]: Sage Publ.
Silvestrini, Stefan (2011): Ex-ante-Evaluation. Ein Planungsansatz für die Entwicklungszusammenarbeit. Münster: Waxmann.
In diesem Text von Lars Balzer und Wolfgang Beywl findest du eine Definition von Evaluation mit den Kernelementen “wissenschaftlich”, Dienstleistung”, und “Werten und Bewerten”, die ich auch sehr hilfreich finde. Überhaupt kann ich das Lehrbuch wärmstens empfehlen, auch über das Feld der Bildungsevaluation hinaus.